Bühlmann ZH-L16 - Gradientfaktoren

Gradienten Faktoren

Modifizierter Originaltext von Oliver Maus/www.checkdive.eu

 

Erik C. Baker stellte über die Anpassung der Koeffizienten hinaus Überlegungen an, wie die Entsättigung noch konservativer durchgeführt werden und gleichzeitig an bestimmte Tauchgangsprofile angepasst werden könnte. Hintergrund der Überlegung war, dass kurze, tiefe Tauchgänge eher zu einer Sättigung der schnellen Kompartimente führen, während lange, weniger tiefe Tauchgänge auch zu einer stärkeren Sättigung der mittleren und langsameren Kompartimente führen. Baker wollte die Möglichkeit schaffen, auf solch unterschiedliche Tauchgangsprofile angepasster zu reagieren.

Dazu führte er die sog. Gradientenfaktoren ein, die in der Regel zwischen 0 und 1 liegen und ausdrücken, wie viel Prozent des „Entsättigungsbereiches“ ausgeschöpft werden (s. Abbildung 1).

Abbildung 1 Entsättigungsbereich, aus "Understanding M-values", von Erik C. Baker

Über die Einführung von Gradientenfaktoren (GF) kann die Berechnung konservativer (0< GF <=1) oder weniger konservativ (GF >1) durchgeführt werden. Gradientenfaktoren steuern, wie „nah“ im Rahmen der Entsättigung der tatsächliche Gewebeinertgasdruck an den tolerierten Gewebeinertgasdruck (entspricht bei Workmann dem M-value) herangeführt werden darf.
Die a und b Koeffizienten sind bei Bühlmann so ausgelegt, dass der Entsättigungsbereich maximal ausgereizt wird, bedingt durch die Überlegung, dass ein maximaler Druckgradient auch zu einer maximalen Entsättigung führt. 
Durch die Einführung von Gradientenfaktoren lässt sich also steuern, dass nur ein bestimmter Prozentsatz des tolerierten Gewebeinertgasdrucks ausgenutzt wird. 

Die Gradientenfaktoren werden wie folgt auf die Koeffizienten angewandt:

a\Rightarrow a*GF (17) 
b\Rightarrow \frac{b}{GF-GF*b+b} (18)

Die Formel für b lässt sich vereinfachen, wenn durch b geteilt wird:

b\Rightarrow \frac{1}{\frac{GF}{b}-GF+1} (19)

Werden die Gradientenfaktoren in die Berechnung des tolerierten Umgebungsdruckes eingebunden, ergibt sich folgende Formel:

p_{amb.tol}=\frac{p-a*GF}{\frac{GF}{b}-GF+1} (20)

Auf diese Weise wird nun also über die Einführung des Gradientenfaktors gesteuert, wie weit beim Auftauchen in den "Entsättigungsraum" eingedrungen wird.

Die Überlegung beim Bühlmann'schen Modell (wie bei allen Haldane'schen Modellen) besteht ja darin, über die Maximierung des Druckgradienten  zu einer maximalen Entsättigung zu gelangen. Unter maximalem Druckgradienten verstehen wir hier einen möglichst grossen Druckunterschied zwischen dem Inertgasdruck in den Geweben und dem Umgebungsdruck. Dieses Druckgefälle wird beim Auftauchen durch die Verringerung des Umgebungsdruckes erreicht.

Maximaler Druckgradient bedeutet physiologisch, dass in den Lungenkapillaren ein höherer Inertgasdruck ansteht, als auf der alveolaren Seite. Damit diffundiert mehr Inertgas aus dem Blut in die Lungenbläschen als umgekehrt.

Das Problem besteht  bei der Maximierung des Druckgradienten nun darin, die (unscharfe) Grenze nicht zu überschreiten, ab der es zu einer unkontrollierten Blasenbildung kommen kann (s. Abbildung 2).


Abbildung 2 M-value Konzept aus "Understanding M-values", von Erik C. Baker

Wird auf der anderen Seite der Druckgradient nicht ausreichend erhöht, in dem z. B. nur geringfügig aufgestiegen wird, führt das je nach Tauchgangsprofil zu inakzeptabel langen Entsättigungszeiten, die mehrere Probleme nach sich ziehen können, wie z. B. Unterkühlung oder Gaslogistik.

Wie auch immer der Aufstieg letztlich aussieht, klar ist, dass eine Entsättigung nur bei Kompartimenten stattfinden kann, bei denen der Gewebeinertgasdruck grösser ist  als der alveolare Inertgaspartialdruck.
Bei einem Sporttaucher handelt es sich hier um die schnellen Kompartimente. Bei diesem Sporttaucher weisen die langsamen Kompartimente einen Gewebeinertgasdruck auf, der deutlich unter dem alveolaren Inertgaspartialdruck liegt.

Je grösser nun dieses umgekehrte Druckgefälle ist, desto schneller sättigen die langsamen Kompartimente. Dies macht sich vor allem im technischen Tauchen bemerkbar. Die notwendige Konsequenz daraus ist eine anschliessende längere Entsättigungsphase auf den niedrigen Austauchstufen.

Eric C. Baker wollte es nicht bei einem einzelnen Gradienten Faktor belassen. Dieser bedeutet, dass über die gesamte Entsättigungsphase der selbe Konservativismusfaktor angewandt wird.

GFLow und GFHigh

Ziel von Baker war es, den Druckgradienten am Anfang der Austauchphase niedriger zu halten und erst mit abnehmender Austauchtiefe  zu steigern. Daher führte er zwei verschiedene Gradienten Faktoren ein, GF Low (GFLo) und GF High (GFHi). GFLo mit einem Wert < 1 erzwingt einen tieferen ersten Dekostop. Während der tieferen Dekostops können die langsameren Gewebe allerdings weiter aufsättigen und benötigen entsprechend mehr Dekozeit in den flacheren Bereichen. Dies kann mit GFHi separat gesteuert werden. GFHi wird in aller Regel höher gesetzt als GFLo. Eine häufig verwendete Paarung ist z. B. GFLo = 0.2 (20%) und GFHi = 0.8 (80%).

Aus GFLo und GFHi wird ein einzelner Gradienten Faktor berechnet, wobei eine einfache lineare Funktion für einen graduellen Übergang von GFLo zu GFHi sorgt. 
Die Steigung dieser Geraden wird in Gl. (21) berechnet.

GF_{Steigung} = \frac{GFHi-GFLo}{LetzteStoptiefe-ErsteStoptiefe} (21)

Zu beachten ist, dass Letzte Stoptiefe 0 (Meter) ist. 
Diese Steigung GF Steigung wird nun benötigt, um den aktuellen Gradienten Faktor in Abhängigkeit von der aktuellen Dekostop Tiefe zu ermitteln Gl. (22)

GF=GF_{Steigung}*AktuelleDekotiefe+GFHi (22)

Mit GFLo soll eine tiefere erste Dekostufe erzwungen werden. Zunächst muss aber GFSteigung ermittelt werden und dies benötigt die Angabe der ersten Dekostufe (die wir wiederum aber erst berechnen wollen).
In die Implementierung des Dekompressionsmodelles finden die Gradientenfaktoren so Eingang, dass der Tauchgang zunächst mit  GradientFaktor 1 berechnet wird. Ab dem Moment, ab dem der Aufstieg eingeleitet werden soll,  wird der verwendete GradientenFaktor auf GFLo gesetzt und der erste (tiefe) Dekostop berechnet. Nun haben wir alle Informationen zur Verfügung, um die GFSteigung zwischen GFLo und GFHi zu berechnen.

Bisher haben wir die rechnerische Ermittlung der Gradientenfaktoren betrachtet und wie sie für die Berechnung der Entsättigung herangezogen werden.

Durch die nachträgliche Ermittlung der Gradientenfaktoren kann man aber auch ermitteln, wie viel Prozent vom M-Value tatsächlich für die Entsättigung ausgenutzt wurde.

Die Formel dafür lautet:

GF=\frac{p-p_{amb}}{p_t-p_{amb}} (23)

Im Zähler wird vom Inertgasdruck im Gewebe der Umgebungsdruck abgezogen, wobei gilt: p\geq p_{amb}. Nach Bühlmann sollte der tolerierte Inertgasüberdruck während des Aufstieges immer ausgenutzt werden, d. h. ohne den Sicherheitszuschlag durch einen Gradientenfaktor < 1. Der Gradientenfaktor wäre bei Bühlmann also genau 1.

Das bedeutet in Gl. (23) also  p = p_t.

Wird p_taufgelöst, ergibt sich für die Ermittlung des Gradientenfaktors folgende Formel:

GF=\frac{p-p_{amb}}{\frac{p_{amb}}{b}+a-p_{amb}} (24)

 

Zusammenfassung und gängige Grundeinstellungen für Taucher

Beide Werte auf 1.0 entspricht dem original Bühlmann Modell (100% Übersättigungsgrenze). GFlow = 0.2...0.4, GFhigh = 0.7...0.85 sind meist gute Grundeinstellungen.

GFlow

  • Tiefe des ersten Stopps
  • 0.1 – 0.6 (10 – 60% der Übersättigungsgrenze)
  • Der erste Stop sollte 3 bis 6m über dem off-gassing Point liegen

GFhigh

  • Sicherheitsmarge am Ende der Dekompression
  • 0.7 – 1.4 (70 – 140% der Übersättigungsgrenze)

 

 

Nach den Gradientfaktoren widmen wir uns einen genaueren Blick auf die M-Werte von Robert Workman