Custom Mix vs. Standard Mix - Der beste Mix ist eine Frage der Balance
Eine Frage zum Beginn
Beginnen wir mit einer einfachen Frage an die technischen Taucher: Welchen Mix würdest du für einen Tauchgang auf 45m verwenden? Was wenn danach ein Tauchgang auf 85m und ein weiterer auf 35m geplant sind? Würdest du auf jedem Tauchgang Dekogase mitführen? Wenn ja, Eines, Zwei, Mehrere?
Wäre deine Antwort für kaltes und warmes Wasser unterschiedlich? Auch bei starken Strömungen? Und zu guter Letzt, welches Dekogas findest du am sinnvollsten; reiner Sauerstoff, Nitrox80, Triox, Heliox,...?
Das richtige Gas ist ein Balanceakt
Die richtigen Gase für einen anspruchsvollen (egal ob flach oder tief) Tauchgang zu finden ist ein Balanceakt. Das Ziel ist, die beste Lösung unter Berücksichtigung von Sauerstoff-Toxität, Intertgasnarkose, Dekompressionsverpflichtung, Kosten und ein paar weiteren Faktoren zu finden.
Die Differenz zwischen einen optimalen Gas und einen nicht-optimalen bestimmen zu einem gewissen Grad die Tauchgangparameter; auf 35m ist die Flexibilität und Toleranz grösser als bei 85m. Der Preis für ein sub-optimales Gas auf 35m kann ein schlechter Tauchgang sein, bei 85m kann es lebensbedrohend sein. Müdigkeit, Stickstoffnarkose, CNS-Vergiftung, Bewusstlosigkeit bis zum Tod.
Desshalb sollte jeder technische Taucher ALLE Fragen zum Einsatz seiner Gase ohne Wenn und Aber beantworten können. Das Ganze noch mit etwas Logik und Allgemeinverständnis gekoppelt.
Tausende Gasmischungen
Es gibt tausende verschiedene Gasmischungen, jedoch sind für den normalen technischen Taucher lediglich drei Komponenten relevant: Sauerstoff, Stickstoff und Helium. Es gibt weitere Gasmischungen im Bereich des Militärs, der Forschungs- und Berufstaucherei. Diese sind jedoch für den normalen Taucher (noch) nicht verfügbar wegen den Erfahrungswerten, den hohen Kosten (z.B. Neon) oder deren Eigenschaft zum unglücklichsten Zeitpunkt zu explodieren (z.B. Wasserstoff). Argon ist die Ausnahme, da es noch zum Befüllen des Trockentauchanzugs eingesetzt wird. Als Atemgas kommt es nicht zum Einsatz.
So bleiben zum Schluss drei Gase, in verschiedenen Kompositionen gemischt können wir eine gemischte Palette von Nitrox, Trimix, Heliox, Triox und Heliair herstellen. Hier beginnt für viele das Problem und die Wahl dieser Gase kann in gewissen Kreisen schon zu heftigen Diskussionen führen. Auf der einen Seite sind die Befürworter der sog. Standard-Gase, welche sich verweigern etwas anderes zu tauchen als eine kleine Auswahl bestimmter Gase. Auf der anderen Seite, welche die der Standardisierung KEINEN Vorteil abgewinnen können und auf individuelle Mischungen (Custom Mix) schwören.
Custom Mixes werden spezifisch für jeden Tauchgang gemischt, abhängig von den Parametern des Tauchgangs. Dies erfordert natürlich für jeden Tauchgang neue Berechnungen für das Blending und die Dekompression. Standard Mixes entspricht eher dem Kauf eines Hemdes im Warenhaus. Die Auswahl ist limitiert auf eine handvoll Gemische welche über den Tiefenbereich gleichmässig verteilt sind. Beispielsweise Nx32 und Nx36, welche von der NOAA definiert wurden, oder eine grössere Palette welche vom WKPP Expeditionsteam eingesetzt wurde und heute von GUE (Global Underwater Explorers) vertreten werden.
Schön für alle, welche sich bei der Debatte gerne im Kreis drehen. Es gibt jedoch einen dritten, pragmatischeren Ansatz: Nutze Standard Mixes und individuelle Mischungen wo notwendig.
Die Vorteile der Standard Mixes sind vor allem beim OC-tauchen im Bereich 10-60m, individuelle Mischungen sind meist die besser Lösung wenn es Tiefer geht. Die Vor- und Nachteile werden später noch detailliert behandelt. Zuerst müssen wir die einzelnen Gase jedoch noch etwas genauer anschauen.
Sauerstoff
Von den drei Gasen ist Sauerstoff der reaktivste. Details dazu und zur Reinigung der Ausrüstung findest du unter folgenden Links:
- Eigenschaften von Sauerstoff
- Sauerstoff-Service
- Sauerstoffreinheit
- Sauerstoffkompatibilität
Für die Planung eines Tauchgangs sind vor Allem die CNS-Limiten für den Tauchgang und die 24h Exposition zu berücksichtigen. Während der Dekompression sind 1.6 bar Partialdruck zulässig. Während dem Tauchgang sind geringere Partialdrücke empfohlen. Für Tauchgänge bis 40m und Grundzeiten bis 40 min. sind 1.4 bar die empfohlene Norm. Für tiefere und längere Tauchgänge sollte der Partialdruck auf 1.3 oder 1.2 bar reduziert werden. Tiefer als 70m mit 1.2 bar wird generell empfohlen. Mit diesem Parameter kann die Sauerstofftoxität und Dekompressionsverpflichtung balanciert werden. Für CCR Tauchgänge findest sind 1.3/1.2 bar ebenso sinnvolle Werte. Meine Empfehlungen dazu findest du hier:
- Gaswahl und Setpoints für CCR-Mischgastauchgänge
Wer hier nicht mehr mitkommt, sollte sich wieder mal mit der Nitrox-Theorie befassen :-)
Stickstoff
Details zu den Eigenschaften von Stickstoff findest du unter folgendem Link:
- Eigenschaften von Stickstoff
Stickstoff ist für den Taucher aus mehreren Gründen relevant: Tiefenrausch und Dekompression. JEDER Taucher, der ins technische Tauchen einsteigt, sollte sein persönliches Stickstoff-Limit festlegen und sich jederzeit daran halten, so wie man es für die Sauerstoffbelastung ebenfalls tut. Mit der Erfahrung kann dieser Wert noch leicht schwanken. Generell ist jedoch ein Wert von um die 30m zu empfehlen.
Helium
Details zu den Eigenschaften vom Edelgas Helium findest du unter folgendem Link:
- Eigenschaften von Helium
Übrigens: die anderen fünf Edelgase sind Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon.
Helium reduziert den Atemwiderstand (WOB) und somit auch die CO2-Produktion im Körper. Wegen den Folgen von hohen CO2 Anteilen wird deshalb mittlerweile auch bei "flachen" Tauchgängen gerne eingesetzt. Wieviel jedoch bei korrekter Atemtechnik und einem geeigneten, ordentlich geprüften Atemregler dieser "Vorteil" messbar ist, sind uns die Physiker noch schuldig. Kopfschmerzen nach dem OC-Tauchgang sind demnach eher ein Fall der Atemtechnik als fehlendes Helium. Helium wird bei Gasgemischen nur eingesetzt, um die Sauerstoff- und Stickstoff-Partialdrücke in ihren Grenzen zu halten.
Helium wird heutzutage Bottom-, Travel- und Dekompressions Mix beigemischt. Da Helium nicht narkotisch ist und zu keinen Vergiftungen führt, kann es in beliebiger Menge verwendet werden, zumindest was Narkose und Vergiftung anbelangt, Helium hat jedoch auch seine Nachteile.
Nummer Eins ist die Dekompressionsverpflichtung von Helium. Helium diffundiert sehr schnell in und aus dem Körper, nahezu 2.5 mal schneller als Stickstoff. Aufstiege mit Helium dürfen deshalb nicht zu schnell durchgeführt werden, maximal 10 Meter pro Minute und auf den letzten Metern 3 Meter pro Minute bis zur Oberfläche.
Nummer Zwei ist die tiefe der ersten Dekompressionsstops. Tauchgänge mit Helium haben meist tiefere Dekompressionsstops als Nitrox oder Pressluft. Dies bedeutet mehr Gasverbrauch OC und meist auch etwas mehr Kälte bei Tauchgängen im Süsswasser. Daher müssen selbst flache Tauchgänge mit Heliumgemischen sorgfältig geplant und ausgeführt werden.
Ein weiterer Punkt ist die sogenannte Isobare Gegendiffusion bei tiefen Tauchgängen. Grössere Wechsel der Stickstoff- und Heliumpartialdrücke kann schnell zu spontanen Blasen in weichen Geweben (meist Innenohr) führen. Beim 85m Tauchgang würde ich daher eher auf ein Triox statt Nitrox zum Beginn der Dekompression verwenden.
Zu guter Letzt, Helium transportiert die Wärme dort weg, wo ich sie am liebsten haben möchte. Durch die thermischen Eigenschaften von Helium wird Wärme sehr schnell abgeführt und man kühlt schneller aus. Über 25 Prozent Heliumanteil ist ein separates System für den Trockentauchanzug (Argon) demnach sinnvoll. Doch auch hier: Mehr Ausrüstung, mehr Fehlerquellen,...
Die Vorteile von Standard Mixes
Nun genug der Gase, sprechen wir über das Tauchen.
Ein guter Tauchgangsplan, JEDER Tauchgangsplan, beginnt mit der Auswahl der Gase, geht weiter mit der Herstellung derer hin zur Gasanalyse und ggf. Nachbesserungen. Mit der passenden Ausrüstung und etwas Übung und Erfahrung ist die Herstellung der Gase ein sehr schneller Prozess, speziell wenn man Standard Mixes verwendet. Hier liegt sicher ein grosser Vorteil; die Flaschen müssen meist nur aufgetoppt werden und selbst bei leeren Flaschen weiss man mit der Zeit sehr genau wie man den Mix exakt herstellt. Die Abweichung und parallel dazu auch die Fehlerwahrscheinlichkeit wird jedes Mal geringer.
Was sind die weiteren Vorteile immer wieder das selbe Gas zu verwenden?
Wohl am wichtigsten ist die Erfahrung, welches man nach einer Serie Tauchgänge mit dem Gas aufbaut...was funktioniert für mich und was nicht? Erfahrung ist Gold wert. Nach einer Weile kennt man die wichtigsten Variablen für den Balanceakt zwischen Dekompression, Sauerstofftoxität, Stickstoffnarkose und Wärmeverlust. Jeder Tauchgang gewinnt an Sicherheit und Notfallstrategien lassen sich zuverlässiger entwickeln.
Doch was heisst Standard Mix denn genau? Per Definition bedeutet es etwas als normal akzeptiert oder weit verbreitet. Jeder könnte jedoch seine eigenen Standards definieren, doch das ist nicht notwendig. Diese Arbeit haben Andere schon für uns gemacht, jedoch auch in verschiedenen Variationen. Es empfiehlt sich jedoch die Logik hinter dem Standard zu erkennen, bevor man sich blind auf einen verlässt.
Eine Übersicht der Standard- und Dekompressions-Mixes findest du unter diesem Link:
- Standardisierte Mischgase für OC
- Standardisierte Mischgase für CCR
Betrachten wir unseren Tauchgang auf 45m aus der Einstiegsfrage. Ein Standard Mix könnte ein Tx21/35 sein.
Der Sauerstoff-Partialdruck wird auf Zieltiefe 1.16 bar, der Stickstoffpartialdruck rund 2.4 bar sein. Beide Werte sind weit innerhalb der akzeptierten Grenzen, der Mix ist somit akzeptabel. Für die Herstellung wird ein EAN32 und Helium verwendet. Selbst wenn wir nur ein EAN30 als Basis zur einfachen Herstellung zur Verfügung haben, resultiert ein akzeptables aber grenzwertiges Tx23/25 mit ca. 1.3 Sauerstoff- resp. 2.9 bar Stickstoffpartialdruck. Bei einer Grundzeit von 30 Minuten und den selben Dekompressionsgasen resultiert sogar die selbe Gesamttauchzeit.
Schauen wir uns nun den Tauchgang auf 85m an: Der Standard empfiehlt ein Tx10/70. Der Sauerstoffpartialdruck auf der Zieltiefe wird 0.95 bar, der Stickstoffpartialdruck 1.9 bar sein (eine EAD von 14m!). Dieser mit ist hypoxisch und darf an der Oberfläche nicht geatmet werden, ein Travelgas wird notwendig. Das sieht nicht nach der besten Option aus und ist mit Kannonen auf Spatzen geschossen. Der Standard empfiehlt hier ein Gas, das einen Bereich von 40m abdecken soll. Der Ursprung dieses Gases kommt jedoch aus der Entdeckung von neuen, tiefen Höhlensystemen wo die Taucher nie wussten was sie genau antreffen werden und natürlich ein Gas benötigten, welches eine maximale Flexibilität bietet. Flexibilität wurde dazu höher bewertet als das Optimum.
Die bessere Option auf 85m: der Custom-Mix
Hier könnte für unseren 85m-Tauchgang ein individueller Bottom-Mix sinnvoller sein. Mit maximal 1.2 bar Sauerstoff- und 3.0 bar Stickstoffpartialdruck enden wir etwa bei einem Tx12/56.
Nun bleibt uns noch der letzte Tauchgang, derjenige auf 35m. Wir könnten dazu einfach ein EAN32 nehmen, doch gehen wir zurück auf die vorher erwähnten persönlichen Grenzen. Der Sauerstoffpartialdruck von etwa 1.4 bar ist gut, die 3.1 bar Stickstoffpartialdruck sind auch akzeptabel. Aber es ist alles an der Grenze und die Wahl für Nitrox oder doch ein leichtes Trimix ist schwer zu treffen. Ohne die Umgebung genau zu kennen (Strömung, Temperatur, etc.) ist eine korrekte Aussage schwer möglich. Nach dem 85m Tauchgang wird jedoch bestimmt noch genügend Tx30/25 Dekompressionsgas für diesen Erholungs-Tauchgang auf 35m zur Verfügung stehen...